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"Der schmale Grat zwischen Freude und Trauer" – John Holloway und sein Ensemble mit den melancholisch gestimmten Fantazias von Purcell

John Holloway Ensemble
21.09.2023

Der britische Geiger, Dirigent und Hochschullehrer John Holloway ist bekannt für seine hohe Intellektualität, seine virtuose Perfektion und sein klangpoetisches Gespür. Mit diesen Eigenschaften avancierte der 1948 im walisischen Neath geborene Musiker, der 1972 unter dem Einfluss von Sigiswald Kuijken mit dem Spiel der Barockvioline begann, zu einem der wichtigsten Vertreter der historischen Aufführungspraxis. 

“John ist ein fabelhafter Musiker, und wie die meisten Musiker mit einem solchen Format hat er eine große Persönlichkeit”, so die Geigerin Lisa Brooks, die in Indianapolis mit ihm zusammenarbeitete, gegenüber der Zeitung “Atlanta Journal-Constitution” über den Geiger, zu dessen hervorstechendsten Merkmalen die Fähigkeit gehört, äußerste Sorgfalt mit überraschenden Akzentsetzungen zu verbinden. 

Das gilt nicht nur für sein Geigenspiel, sondern auch für seine historische Expertise. So behandelt Holloway, der seit 1999 für ECM aufnimmt und sich mit Repertoire von J. H. Schmelzer, Biber, Veracini, Bach, Leclair, Dowland u.a. eine exquisite Diskografie erarbeitet hat, im Booklet zu seinem neuen Album zunächst in aller Nüchternheit die Geschichte der Kompositionsform “Fantasie”.      

Unverhoffte Pointe

Doch gegen Ende setzt er, als er von Purcell handelt, eine aphoristische Pointe, die direkt ins Zentrum der elegischen Klangpoesie des britischen Komponisten führt. Purcell habe bereits kurz nach seiner Teenagerzeit die “außergewöhnliche Fähigkeit” besessen, “den schmalen Grat zwischen Freude und Trauer zu beschreiten: der Melancholie”. Dieser Stimmung sei er “auf wundersame Weise” fähig gewesen, “Ausdruck zu verleihen”, und das “innerhalb der strengsten, selbst auferlegten Regeln eines komplexen Kontrapunkts”. 

Ein musikalisches Faszinosum, dem Holloway auf seinem neuen ECM-Album auf den Grund geht. An der Seite der beiden Bratschistinnen Monika Baer und Renate Steinmann und dem Cellisten Martin Zeller interpretiert er die 12 drei- und vierstimmigen “Fantazias” (Z. 732–743) von Henry Purcell und sucht deren Stimmungsnuancen nachzuzeichnen. Holloway und sein Ensemble sind mit den feinsten Verästelungen in Purcells Kontrapunktik vertraut.   

Kontrapunktisches Wunderwerk

Die vier Streicher ziehen die Linien der einzelnen Stimmen klar nach und verbinden sie in ihrem Zusammenspiel zu reizvollen Klangmustern. Trotz der harmonischen Komplexität der Fantazias, die Purcell 1680 mit Anfang 20 schuf, kommen die Stücke mit einer frappierenden Leichtigkeit daher. Das gilt selbst noch für die schwermütigen Fantasien, die in berührende Tiefen des Empfindens hinabreichen. Etwa die siebte, die in ihrem getragenen Ton an Bachs unvollendete Fuge aus der “Kunst der Fuge” erinnert.    

Neben solchen gravitätisch anmutenden Stücken, die unmittelbar jene Melancholie abzubilden scheinen, von der Holloway spricht, gibt es einige Fantasien in der Sammlung, die einen hellen, fast heiteren Ton anstimmen, darunter die zweite, die eine eigentümlich friedliche Stimmung verströmt. Aber mit Purcell scheint es wie mit Mozart: Auch den heiteren Augenblicken haftet eine seltsam magische Melancholie an, deren klangliche Schönheiten Holloway und sein Ensemble jedoch in den feinsten Schattierungen zu malen versteht. 

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