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Schon früh war mir klar, dass ich mich irgendwann mit Bachs Kunst der Fuge auseinandersetzen musste. Während meiner Arbeit an anderen Tastenwerken von Bach entschied ich mich jedoch bewusst, dieses Werk zunächst zu vertagen. Anfangs wirkten die Stücke wenig mitreißend, doch der Gedanke, dass Bach je etwas Belangloses komponiert haben könnte, schien mir unmöglich. Als dann für die Spielzeit 2012–13 Auftritte in der Royal Festival Hall in London anstanden, begann ich 2012 entschlossen mit der intensiven Beschäftigung mit der Kunst der Fuge.
Nach zahlreichen Jahren mit Bachs Musik war es vorteilhaft, erst jetzt in dieses Werk einzutauchen. Im Vergleich mit den Goldberg-Variationen oder Teilen des Wohltemperierten Klaviers empfand ich die Kunst der Fuge als besonders anspruchsvoll. Anders als dort gibt es keine entspannenden Präludien, sondern eine Folge fugaler Meisterleistungen. Die Strenge und Tiefe des Werks beeindruckten mich sowohl geistig als auch emotional und widerlegten endgültig meine anfänglichen Zweifel an seiner Faszination.
Seit 1748, im Alter von 63 Jahren, zeigten sich deutliche Veränderungen in Bachs Handschrift. Es ist unklar, ob er Ende 1749 noch schreiben konnte; seine letzte erhaltene Unterschrift datiert vom 11. Dezember. Die langjährigen Augenprobleme und wohl auch eine Diabetes-Erkrankung beeinträchtigten ihn stark. Die Augenoperationen bei Dr. John Taylor im März 1750 führten zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, von der er sich nicht erholte. Kurz vor seinem Tod kehrte das Sehvermögen für kurze Zeit zurück, danach erlitt Bach einen Schlaganfall und verstarb am 28. Juli 1750 im Alter von 65 Jahren.
Während seiner letzten Lebensmonate wurden die Kupferplatten für den Druck der Kunst der Fuge vorbereitet. Das Werk entstand jedoch früher, etwa zeitgleich mit dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers und den Goldberg-Variationen. Eine autograph überlieferte Partitur mit zwölf Fugen und zwei Kanons wurde 1742 von Johann Christoph Altnikol, Bachs Schüler und Schwiegersohn, fast vollständig angefertigt und befindet sich heute in Berlin. Bach nahm regelmäßig Überarbeitungen und Ergänzungen vor, fügte später weitere Stücke hinzu und änderte die Anordnung, als die Drucklegung vorbereitet wurde.
Auffällig ist, dass Bachs Kontrapunktik immer komplexer wurde, obwohl der Zeitgeist einen galanten Stil bevorzugte. So kritisierte Johann Adolf Scheibe Bachs Musik 1737 als überladen und unverständlich. Bach blieb seinen kompositorischen Idealen jedoch treu und schuf Werke von noch größerer Vielschichtigkeit.
Carl Philipp Emanuel Bach schrieb 1751 zur Ankündigung der Kunst der Fuge: „Dieses Werk, in dem die ganze Kunst der Fuge auf ein einziges Thema ausführlich behandelt wird, war bisher unbekannt für jene, die die Musikgeschichte kennen… Es ist ausdrücklich sowohl für Klavier als auch Orgel eingerichtet.“
Eine Herausforderung für den Interpreten besteht darin, dass das gesamte Werk in d-Moll steht und überwiegend im Alla breve-Takt geschrieben ist. Würde man alle Sätze mit demselben Ausdruck spielen, ginge viel von ihrem Charakter verloren; jeder Satz verlangt eine eigene Interpretation. Um den musikalischen Sinn zu erfassen, habe ich die einzelnen Stimmen gesungen und an geeigneten Stellen Atemzeichen notiert.
Contrapunctus 1 eröffnet das Werk nicht mit technischer Virtuosität, sondern mit klaren Themeneinsätzen. Ein überleitender Abschnitt in Takt 32 steigert die Dramatik, die Grundstimmung bleibt lyrisch und ausdrucksvoll.
Im zweiten Contrapunctus verändert Bach den Charakter des Themas durch punktierte Rhythmen. In Takt 44 sorgt ein thematischer Aufstieg für einen neuen Klang, während in Takt 61 die Bassstimme hervorgehoben werden muss. Der Tenor setzt zögerlich in Takt 69 ein; das Stück endet auf der Dominante in Takt 78.
Contrapunctus 3 wirkt ruhig und gesanglich, mit Varianten des Themas und begleitenden Motiven.
Contrapunctus 4, eines der gelungensten Werke des Zyklus und in Bachs letzten Jahren entstanden, lebt von der Umkehrung des Themas und den daraus resultierenden komplexen Harmonien. Besonders zu beachten sind das ausgeweitete Thema in Takt 61 und die doppelten Zitate. Das Stück sollte in fließendem Tempo gespielt werden.
Auch die weiteren Contrapuncti werden detailliert analysiert, stets mit Fokus auf die besonderen Strukturen und Charakterzüge, die Bachs Kunst der Fuge zu einem außergewöhnlichen Werk machen.
Die Kanons und der abschließende Choral bilden Höhepunkte, die das Werk sowohl abrunden als auch eine spirituelle Ebene hinzufügen.
Für die Interpretation und Analyse der Kunst der Fuge sind tiefes Verständnis, Leidenschaft und Respekt vor Bachs schöpferischem Genie und seiner unverwechselbaren kompositorischen Vision unerlässlich.