Album insights
Unsere Wahrnehmung des Wiener Fin de Siècle bleibt oft ungenau. Diese Zeit war zwar geprägt von künstlerischem und kulturellem Aufbruch, doch herrschte gleichzeitig eine ausgeprägte konservative Grundhaltung. Trotz der Präsenz innovativer Persönlichkeiten wie Mahler, Schönberg, Freud, Schnitzler, Hofmannsthal, Loos, Klimt und Schiele, die mit ihren Ideen neue Wege einschlugen, dominierten in vielen Wiener Institutionen weiterhin traditionelle Ansichten. Gerade die Akademien, die diese Künstler hervorgebracht hatten, hielten am bewährten Status quo fest und begegneten Neuerungen mit Zurückhaltung. Viele Vertreter der Dichtung, Musik und Kunst empfanden das geistige Klima daher als bedrückend, da der Konflikt zwischen Bewahrung und Aufbruch zu radikalen Experimenten führte.
Das musikalische Leben Wiens stand unter dem Einfluss der Gesellschaft der Musikfreunde, die sowohl das Konservatorium als auch den Musikverein leitete. Der Unterricht dort war solide, jedoch stark an Traditionen orientiert und wenig offen für Innovationen. Die Gesellschaft bevorzugte etablierte Komponisten wie Brahms und grenzte zeitgenössische Musikströmungen, etwa von Wagner und Liszt, aus. In dieser gespaltenen Atmosphäre begann Alexander Zemlinsky seine Laufbahn, geprägt von unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen.
Zemlinskys Studien am Konservatorium waren durch eine strenge formale Ausbildung gekennzeichnet, insbesondere durch seinen Lehrer Robert Fuchs, der für seine konservative Haltung bekannt war. Dennoch spiegeln Zemlinskys frühe Werke seinen kreativen Umgang mit den erlernten Regeln und seine Offenheit gegenüber neuen Einflüssen wider. Seine erste Sinfonie in d-Moll, die 1893 unter der Leitung von Fuchs uraufgeführt wurde, erregte auch die Aufmerksamkeit von Brahms, der das Konzert besuchte.
Im Anschluss widmete sich Zemlinsky weiterhin dem Brahms’schen Stil und komponierte im Todesjahr Brahms’ seine Sinfonie in B-Dur. Dieses Werk vereinte verschiedene kompositorische Einflüsse mit Zemlinskys eigener Handschrift und markierte zugleich eine künstlerische Weiterentwicklung. Die Sinfonie wurde mit dem Beethoven-Preis ausgezeichnet und steht beispielhaft für Zemlinskys allmähliche Wandlung.
Während Zemlinsky zunehmend mit neuen musikalischen Strömungen in Kontakt kam, gewann er einerseits die Bedeutung seiner traditionellen Ausbildung und der Einflüsse Brahms’ immer mehr zu schätzen, bewegte sich andererseits aber auch in Richtung Avantgarde. Die Musikszene Wiens war im Umbruch, und die bislang vorherrschende konservative Haltung begann zu bröckeln. Zemlinskys zwei frühe Sinfonien geben Einblick in diese Phase des Übergangs und zeigen die künstlerischen Umwälzungen jener Zeit.