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Thomas Carlyle betonte, dass Geschichte im Wesentlichen aus unzähligen Biographien besteht. Genau hierin zeigt sich die erste große Hürde für Musikforscher, die sich mit früher Musik beschäftigen: Die meisten überlieferten Werke sind anonym, und musikhistorische Rückschlüsse stützen sich häufig lediglich auf lückenhafte Quellen. Besonders anschaulich wird dies anhand der Entwicklung des spanischen polyphonen Liedes. Es fehlen Liederbücher mit kastilischen Texten, die vor dem 15. Jahrhundert entstanden. Obwohl rund 500 Lieder überliefert sind, bilden diese nur einen kleinen Teil des gesamten cancionero. Während diese Lieder schriftlich dokumentiert wurden, deuten außermusikalische Hinweise auf eine ältere Tradition des improvisierten Liedgesangs in Spanien hin.
Die in Madrid, Sevilla, Barcelona und Elvas überlieferten Liederbücher werfen zahlreiche Fragen auf, vor allem wegen der großen Anzahl an anonymen Kompositionen. Diese Manuskripte wurden lange Zeit mit dem königlichen Haushalt Ferdinands und Isabellas in Verbindung gebracht. Die meisten namentlich bekannten Komponisten waren Sänger an den Hofkapellen Aragons oder Kastiliens. Ein herausragender Vertreter dieser Gruppe war Francisco Peñalosa, ein Komponist, der durch seine Virtuosität und seine Werke, welche die französisch-niederländischen Stile nachahmten, auffiel. In seinem Stück "Por las sierras de Madrid" verband er geschickt bekannte Melodien miteinander. Auch in seinen Motetten spiegelte sich seine technische Brillanz wider, wobei der Fokus weniger auf kunstvollen Techniken als auf der sprachlichen Ausdruckskraft lag.
Auch Juan del Encina, ein vielseitiger Dichter, Dramatiker und Komponist, zeigte ähnliche Entwicklungen. Seine Lieder markieren einen stilistischen Wandel gegenüber früheren Werken. Obwohl er nie an den Hofkapellen Ferdinands und Isabellas tätig war, ist er der am häufigsten vertretene Komponist im Palastliederbuch. Der homophone Stil seiner Musik legt besonderen Wert auf Textverständlichkeit. Zusammen mit anderen Komponisten seiner Zeit pflegte er das villancico, das sich in Aufbau und Themenwahl vom canción unterschied und auf populäre Melodien zurückgriff. Auch die Instrumentalmusik Spaniens im 16. Jahrhundert war durch diese Mischung geprägt; Luis Milán und Luis de Narváez zählten zu den wichtigsten Musikern dieser Epoche. Beide prägten die Vihuela-Musik und griffen dabei auf improvisatorische Traditionen zurück.