Album insights
Johann Kuhnau (1660–1722) wird häufig als der Vorgänger von Johann Sebastian Bach im Amt des Thomaskantors in Leipzig gesehen, doch sein Einfluss auf Bachs musikalisches Schaffen ist nicht zu unterschätzen. Kuhnau, der fast vier Jahrzehnte lang an der Thomaskirche wirkte, prägte durch die Einführung thematischer Kantatenjahrgänge und die Etablierung der figuralen Passionsmusik für den Karfreitag maßgeblich die Leipziger Kirchenmusik und beeinflusste damit auch die Entwicklung der Kantate hin zum späteren „Bachischen Muster". Bach übernahm nicht nur Kuhnaus Amt, sondern ließ sich auch vom Titel „Clavier-Übung" inspirieren, den Kuhnau für seine eigenen Klaviersammlungen gewählt hatte. Beide Musiker arbeiteten 1716 gemeinsam an der Orgelabnahme in Halle. Kuhnau war ein vielseitiger Universalgelehrter: Neben seinem Wirken als Komponist und Musiker war er Jurist, Theoretiker und Schriftsteller. Sein satirischer Roman „Der musicalische Quacksalber" nimmt die Musik seiner Zeit humorvoll aufs Korn. In seinen Werken zeigt Kuhnau eine besondere Fähigkeit zur Assimilation vielfältiger musikalischer Einflüsse und zur Schaffung neuer musikalischer Formen. Sein Umgang mit Textdeklamation und der Wechsel zwischen Polyphonie und Homophonie erinnern an Händel, der als Student von Kuhnaus Kompositionen profitierte. Die Bedeutung der Interpretation und des emotionalen Ausdrucks spiegelt sich in Kuhnaus Klaviermusik wider. Die mathematisch strukturierten „Clavier-Übungen" beispielsweise verbinden Struktur mit Ausdruckskraft. Kuhnau war ein wichtiger Wegbereiter des italienisch geprägten Stils in der deutschen Tastenmusik, obwohl er als Thomaskantor später der modernen Oper kritisch gegenüberstand. Seine Kirchenmusik, darunter zahlreiche Kantaten aus den Jahren 1705 und 1717, wird heute wiederentdeckt und steht der Qualität von Bachs Mühlhausener Kantaten in nichts nach. Kuhnaus Vielseitigkeit und schöpferische Energie widerlegen das Bild eines langweiligen Vorgängers und zeigen ihn vielmehr als wichtige Verbindung zwischen Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach.